Peer-Arbeit: Unterstützung auf Augenhöhe

Am 4. Mai hat im Kornhausforum das 13. Sozialpsychiatrische Kolloquium zum Thema Peer-Arbeit stattgefunden. Pedro Codes, Peer-Mitarbeiter im Schlossgarten Riggisberg, ist einer der Expert*innen, die ihre Erfahrungen aus unterschiedlichen Praxisfeldern mit dem Publikum diskutiert haben. Seine Botschaft: Die Peer-Arbeit hat auch ausserhalb des psychiatrischen Settings viel Potenzial und die Schweiz hat gegenüber dem Ausland gewissen Aufholbedarf.

Pedro Codes

2017 hatte Pedro Codes die letzte tiefe Krise. Nach dem Klinikaufenthalt wusste er, dass er beruflich etwas verändern wollte, auch als Teil seiner eigenen Genesung. Er begann eine Weiterbildung zum psychosozialen Berater und begegnete im Verlauf der Weiterbildung dem Peer-Konzept. Schnell war klar, dass dies sein neuer Wunschberuf war. Heute arbeitet er als Peer-Mitarbeiter im Schlossgarten Riggisberg sowie bei Pro Mente Sana.

Wie sieht Ihr Alltag als Peer-Mitarbeiter aus?

Pedro Codes: «Das ist ganz unterschiedlich. Im Normalfall führe ich drei bis fünf Peer-Gespräche. Daneben tausche ich mich auch mit anderen Fachpersonen aus. Mein Job besteht fast zu 80% aus Gesprächen – im Sitzen, beim Spazieren oder dort, wo sich der Austausch gerade ergibt. Ich habe zwar ein Büro, aber dieses nutze ich fast nur für die Administration.»

Kommen Ihre Klient*innen nur zu Ihnen oder werden sie gleichzeitig noch psychologisch oder psychiatrisch betreut?

«Beides. Der Schlossgarten Riggisberg als Wohnheim bietet eine vollständige Versorgung. Das heisst, die Bewohnenden haben Zugang zur Heimärztin, zu den Psycholog*innen und Psychiater*innen sowie dem Pflegepersonal, das dort arbeitet. Wenn ich bei Pro Mente Sana am Beratungstelefon bin, gibt es auch Anrufer*innen, die nicht in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung sind. Manchmal, weil sie zum ersten Mal eine psychische Krise erleben und nicht wissen wie, manchmal, weil sie genug davon haben und nicht mehr wollen.»

Wo sehen Sie im Peer-Ansatz die grössten Chancen?

«Die Idee hinter dem Peer-Ansatz ist es, die «Recovery» - also das Wiedererlangen eines selbstdefinierten guten Lebens - zu erleichtern. Die Diagnose bringt man auf dem Weg dorthin mit und ist etwas, womit man einen Umgang finden kann.

Wir Peers «outen» uns als Menschen mit Psychiatrieerfahrung. Wenn man von einem Peer hört «Mein Leben macht wieder Sinn», oder welche Hürden er oder sie überwunden hat, kann das wie eine Saat sein, die Hoffnung gibt. Darin liegt für mich die grösste Chance.

Ausserdem haben wir einen ganz speziellen Zugang. Wir sind nicht medizinische oder pflegerische Profis und verfolgen keine solchen Konzepte, sondern wir beziehen uns auf unsere eigenen Erfahrungen und können auch die Erfahrung des Gegenübers verstehen. Dadurch fällt es uns leichter, auf Augenhöhe zu kommunizieren und wir werden oft als weniger stigmatisierend empfunden. Das wiederum macht es einfacher, sich uns zu öffnen.»

Hat Peer-Arbeit auch in anderen Umfeldern Potenzial?

«Auf jeden Fall. Auch bei körperlichen Erkrankungen gibt es Peer-Arbeit, zum Beispiel im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Auch in Bezug auf Junge, zum Beispiel in der Betreuung von Lehrlingen, gibt es Peer-Arbeit. Generell besteht der Wert dieses Ansatzes in der Zusammenarbeit mit Menschen, die gleiche Erfahrungen haben und diese reflektiert haben.

Was ich mir wünschen würde, ist, dass Peer-Arbeit auch ausserhalb des sozialpsychiatrischen Rahmens noch viel stärker stattfinden würde. Zum Beispiel in Quartiervereinen oder bei der IV: Die IV Bern beispielsweise beschäftigt Peer-Mitarbeiter*innen. Peers bräuchte es auch in der Politik, in der Wirtschaft, in der Lehre oder in der Forschung und natürlich in allen Institutionen, die im Unterstützungsbereich arbeiten. Dort könnte man auf allen Ebenen von der Erfahrungen und Perspektiven von Peers profitieren.»


Kolloquium

Vor mehr als 10 Jahren entstanden in der Schweiz die ersten Peer-Stellen in der Akutpsychiatrie. Der ersten noch sehr kurzen Peer-Weiterbildung von Pro Mente Sana folgte 2010 die EX-IN Weiterbildung, die sich für die Qualifikation von Peers zum Einsatz in der Psychiatrie etablierte. Zudem formierte sich die Peer-Bewegung immer deutlicher und schloss sich 2013 zum Fachverband der Expert:innen durch Erfahrung und Genesungsbegleiter:innen Peer+ zusammen.

Hier kann man das 13. Kolloquium als Videoaufnahme ansehen.